Das Wechselmodell und seine Probleme: 2 Entscheidungen des Kammergerichts Berlin

Betreuung und Lebensmittelpunkt (KG, Beschluss vom 30.04.2018 - 19 UF 71/17 -)

Der Entscheidung des Kammergerichts lag folgender Fall zu Grunde:
Die Eltern trennten sich, als das gemeinsame Kind 2 ½ Jahre alt war. Die Trennung wurde in der Ehewohnung vollzogen, wobei die Eltern sich auf eine abwechselnde Betreuung in der Wohnung einigten. Nachdem die Mutter ausgezogen war, beantragten beide Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich. Ein beauftragter Sachverständiger schlug ein paritätisches Wechselmodell vor. Dem stimmte der Vater zu. Die Mutter hatte Vorbehalte. Das Familiengericht ordnete eine Betreuung von 4:5:5 im Wege der einstweiligen Anordnung an. Die Elternbeziehung war hochkonflikthaftig. Die Kommunikation der Eltern war schwierig und das Jugendamt bewilligte die Begleitung der Übergaben. Im Hauptsacheverfahren empfahl der Sachverständige trotz der schwierigen Kommunikation eine Fortsetzung der paritätischen Betreuung.

Das Familiengericht wies die beiderseitigen Anträge auf die alleinige Sorge bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht daraufhin zurück und ordnete eine paritätische Betreuung im Wege des Umgangs an. Auf die Beschwerde der Mutter wurde ein ergänzendes Gutachten eingeholt, wobei der Gutachter die Fortführung des Wechselmodells empfahl sowie die Inanspruchnahme von Erziehungsberatung durch die Eltern.

Das Kammergericht schloss sich in der obigen Entscheidung der Empfehlung des Sachverständigen an und beschloss die Fortsetzung der hälftigen Betreuung als die verhältnismäßig beste Lösung an. Hierzu führte es aus:

„Die hälftige Betreuung wird daher – in Übereinstimmung mit dem BGH – nicht angeordnet, um dadurch die Kommunikation zu verbessern. Sie wird vielmehr trotz der schlechten Kommunikation der Eltern angeordnet, weil dies der seit langem praktizierten Betreuung gegenüber anderen Betreuungsgestaltungen und dem beachtlichen Kindeswillen entspricht, die defizitäre Kommunikation sich bisher nicht nachteilig auf das Kind auswirkt, die klare und mit wenigen Wechseln verbundene Regelung für zur Zeit stabilisierend und vorhersehbar ist und eine Besserung der Kommunikation durch regelmäßige und hochfrequentere Beratung ohne parallel laufendes Gerichtsverfahren möglich erscheint …“.

Zudem erteilte das Kammergericht den Eltern die Auflage zur Wahrnehmung von Beratungsgesprächen auf der Grundlage des §1684 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, wonach das Gericht Anordnungen zur Erfüllung der Wohlverhaltenspflicht der Eltern treffen kann.

Fazit
Auch bei hochkonflikthaften Elternbeziehungen kann das paritätische Wechselmodell durch das Gericht angeordnet werden, wenn es bereits über einen längeren Zeitraum hinweg praktiziert wurde und gegenüber anderen Betreuungsgestaltungen dem beachtlichen Kindeswillen entspricht.

Finanzielle Folgen des Wechselmodells/Kindesunterhalt (KG, Beschluss vom 15.04.2019 - 13 UF 89/16 -)

In dem hier zu entscheidenden Fall ging es um die finanziellen Folgen des Wechselmodells. Die Eltern betreuten das Kind im Wechselmodell. Aufgrund der Schichtarbeit des Vaters war das Kind von 20 Tagen an 9 Tagen beim Vater. Die Betreuungsanteile zu Gunsten der Mutter lagen bei 55% zu 45%. Die Mutter bezahlte den Hort. Eine Kommunikation zwischen den Eltern fand mittlerweile nicht mehr statt. Das Familiengericht kam zu dem Ergebnis, dass keine paritätische Betreuung des Kindes vorlag, sodass der Vater unterhaltsverpflichtet sei. Aufgrund des erweiterten Umgangs entschied das Familiengericht, dass der Vater aber nicht Unterhalt nach der seinem Einkommen entsprechenden Stufe der Düsseldorfer Tabelle leisten müsse, sondern nach einer Stufe niedriger. Dies war zuletzt der Mindestunterhalt. Mit der Beschwerde hatte der Vater u.a. geltend gemacht, dass er erhebliche Aufwendungen für das Kind hätte und die Betreuung nahezu paritätisch wäre.

Das Kammergericht hat jedoch entschieden, dass bei einer Verteilung der Betreuung von 55% zu 45% kein paritätisches Wechselmodell vorliege, sondern unterhaltsrechtlich ein eindeutiger Betreuungsschwerpunkt bei der Mutter liege, die damit auch befugt sei, das Kind im Verfahren zu vertreten und Kindesunterhalt geltend zu machen. Hierzu führte das Kammergericht in der obigen Entscheidung aus:

„Anderes gilt nur bzw. erst dann, wenn die Eltern sich in der Betreuung des Kindes in der Weise abwechseln, dass jeder von ihnen „etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben“ wahrnimmt (…). Das umfasst auch die hälftige Aufteilung aller organisatorischer Dinge für das Kind, also die Absprache/Organisation von Arztterminen, von Schulveranstaltungen, Freizeitaktivitäten des Kindes, Hol- und Bringdienste für das Kind etc. Von den Eltern muss also … ein „strenges“ (paritätisches bzw. „striktes“) Wechselmodell prakti-ziert werden, bei dem die Eltern sich in der Betreuung des Kindes dergestalt annähernd bzw. fast 50%:50% abwechseln, sodass jeder von ihnen die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrnimmt (…). Soweit das nicht erreicht ist, bleibt es auch dann bei der alleinigen Barunterhaltspflicht eines Elternteils, wenn der andere Elternteil einen weit über das „übliche“ Maß hinausreichenden Umgang wahrnimmt, der sich einer Mitbetreuung annähert“.

Fazit
Ein paritätisches Wechselmodell liegt nur dann vor, wenn jeder Elternteil etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrnimmt. Das umfasst auch die hälftige Aufteilung aller organisatorischer Dinge für das Kind. Bei einer Verteilung der Betreuung von 55% zu 45% ist dies nach dem vorgenannten Beschluss des Kammergerichts nicht der Fall. Mithin verbleibt es dann bei der alleinigen Barunterhaltspflicht eines Elternteils.

zurück